Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbands der Familienunternehmer, mit AIZ-Chefredakteur Stephen Paul
„Deutschland braucht jetzt die Wirtschaftswende“
Im Dialog mit Marie-Christine Ostermann
Interessenvertreterin des Mittelstands. Nach einer Ausbildung zur Bankkauffrau studierte sie Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen und sammelte erste Berufserfahrungen als Bereichsleiterin bei Aldi Süd. Seit 2006 führt sie in vierter Generation das Familienunternehmen Rullko Großhandel GmbH & Co. KG. 2023 wurde sie als erste Frau zur Präsidentin des Verbands „Die Familienunternehmer“ gewählt. Neben ihrer unternehmerischen Tätigkeit engagiert sie sich mit ihrer Initiative „Startup Teens“ dafür, junge Leute fürs Unternehmertum zu begeistern. Im Gespräch mit dem AIZ-Immobilienmagazin spricht Marie-Christine Ostermann über die Herausforderungen des Generationswechsels in Familienunternehmen und beschreibt, wie die Standortbedingungen für den deutschen Mittelstand verbessert werden müssen.
Interview von Stephen Paul
AIZ-Immobilienmagazin: Sie führen Rullko in vierter Generation. Was bedeutet es für Sie, ein Familienunternehmen weiterzuentwickeln?
Marie-Christine Ostermann: Unser Unternehmen besteht seit 1923. Für mich bedeutet das vor allem Verantwortung gegenüber unseren 230 Mitarbeitern und ihren Familien. Viele sind bereits seit Jahrzehnten bei uns, eine Betriebszugehörigkeit von 40 Jahren ist keine Seltenheit. Mein Ziel ist es, das Unternehmen so zu führen, dass ich es eines Tages wieder an die nächste Generation übergeben kann. Besonders motiviert mich der gesellschaftliche Nutzen unserer Arbeit: Wir liefern frische und gesunde Lebensmittel an Altenheime und Krankenhäuser.
Welche politischen oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen würden Sie sich für eine erfolgreiche Unternehmensnachfolge wünschen?
Das sogenannte Abarbeitungsmodell bei der Erbschaftssteuer ist sinnvoll. Wer ein Unternehmen langfristig fortführt, sollte von der Steuer befreit werden, um Arbeitsplätze zu sichern. Ohne diese Regelung müssten viele junge Unternehmer das Unternehmen in Teilen verkaufen, um die Steuerschuld zu begleichen. Zudem braucht Deutschland eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik: niedrigere Steuern für Arbeitnehmer und Unternehmen, weniger Bürokratie, reduzierte Sozialabgaben und wettbewerbsfähigere Energiekosten. Die letzte Unternehmenssteuerreform liegt fast 20 Jahre zurück. Eine Modernisierung ist überfällig.
Haben es Frauen besonders schwer, die Nachfolge im Mittelstand anzutreten?
Ich persönlich habe es nicht so empfunden, denn in unserem Unternehmen war es schon immer selbstverständlich, dass Frauen führten. Meine Großmutter war eine beeindruckende Unternehmerin. In den 1960er-Jahren leitete sie das Unternehmen allein und prägte es nachhaltig. Sie konnte sowohl resolut als auch wertschätzend sein, was ihr viel Respekt einbrachte. Ältere Mitarbeiter erinnern sich noch heute an ihre Führungsstärke. Ihr Vorbild hat mich persönlich stark geprägt und mir gezeigt, dass Frauen in der Unternehmensführung selbstverständlich sein sollten.
Als ich in unser Familienunternehmen eintrat, habe ich mir zusätzlich Respekt erarbeitet, indem ich zuvor als Bereichsleiterin bei Aldi Süd tätig war. Dort habe ich alle Aufgaben übernommen, Regale eingeräumt und sogar Filialen mitgeputzt. Diese Praxiserfahrung hat mir geholfen, mich im männerdominierten Lebensmittelgroßhandel durchzusetzen. Dennoch stelle ich fest, dass es für Frauen in Führungspositionen in Deutschland noch nicht selbstverständlich ist. Gerade in Familienunternehmen kann es herausfordernd sein, wenn noch traditionelle Rollenbilder vorherrschen. Besonders erschwerend kommt hinzu, dass die Kinderbetreuungsmöglichkeiten nach wie vor unzureichend sind. Es fehlt an Personal, und es kann nicht sein, dass in der öffentlichen Verwaltung Stellen geschaffen werden, während in der Kinderbetreuung, Pflege und inneren Sicherheit Arbeitskräfte fehlen.
Welche Erfahrungen machen Sie als Unternehmen des Lebensmittelgroßhandels mit ihren gewerblichen Immobilien?
Wir haben in den vergangenen Jahren in unsere 5.000 Quadratmeter große Tiefkühlhalle und eine Non-Food-Halle an der A2 investiert und den Großmarkt komplett digitalisiert. Derzeit sanieren wir ein Bestandsgebäude energetisch und erreichen Klimaneutralität mit Wärmepumpen und Solaranlagen. Allerdings hat allein die Baugenehmigung eineinhalb Jahre gedauert. Förderprogramme haben wir nicht genutzt, da die Antragstellung zu aufwendig war. Der Staat sollte weniger auf komplizierte Subventionen setzen und stattdessen Genehmigungsverfahren beschleunigen.
Wie bewerten Sie aktuelle politische Entwicklungen in Bezug auf wirtschaftliche Freiheit, Eigentum und Unternehmertum?
In den letzten Jahren haben wir eine zunehmende Planwirtschaft erlebt. Die Regierung setzte auf staatliche Eingriffe, Subventionen und Detailregulierungen, anstatt unternehmerische Freiheit zu fördern. Besonders problematisch ist es, wenn der Staat sich anmaßt, über Gewinner und Verlierer zu entscheiden, anstatt faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Denken Sie an Projekte wie Intel oder Northvolt: Unternehmen werden mit Milliardenbeträgen subventioniert, anstatt dass man die Standortbedingungen für alle Unternehmen verbessert. Das ist keine nachhaltige Wirtschaftspolitik. Deutschland muss dringend zurück zur sozialen Marktwirtschaft finden, bei der Leistung sich wieder lohnt und Investitionen nicht von Subventionen abhängen.
Beim Wirtschaftswarntag und der SOS-Kampagne am Brandenburger Tor haben Sie eine Rede gehalten. Was war Ihre Botschaft?
Ich habe davor gewarnt, dass Deutschland Gefahr läuft, seine industrielle Basis zu verlieren. Immer mehr Unternehmen verlagern ihre Produktion ins Ausland, weil die Standortbedingungen hierzulande zu unattraktiv sind. Wir brauchen dringend eine Wirtschaftswende mit weniger Regulierung, schnelleren Genehmigungsverfahren und besseren Rahmenbedingungen für Investitionen. Sonst stehen wir vor einem massiven Wohlstandsverlust.
Eine neue Studie Ihres Verbands zeigt, dass viele junge Menschen ihre Zukunft im Ausland sehen. Wie bewerten Sie das?
Das ist eine besorgniserregende Entwicklung. Deutschland altert, und wir brauchen dringend gut ausgebildete Fachkräfte, um unseren Wohlstand zu sichern. Doch viele junge Menschen sehen hier zu wenig Perspektiven — sei es aufgrund hoher Steuerbelastungen, fehlender bezahlbarer Wohnungen oder übermäßiger Bürokratie. Wenn wir nicht gegensteuern, wird uns das langfristig wirtschaftlich schwächen. Junge Leute wollen mehr Netto vom Brutto, weniger Bürokratie und bessere Zukunftsperspektiven. Wenn Deutschland weiterhin Talente verliert, wird das Wachstum ausgebremst.
Sie engagieren sich mit „Startup Teens“ für die Nachwuchsförderung.
Unternehmertum muss früher vermittelt werden. „Startup Teens“ gibt Jugendlichen die Chance, wirtschaftliches Denken zu erlernen und eigene Geschäftsideen mit mittlerweile über 1.000 Mentoren zu entwickeln. Das Wissen um wirtschaftliche Zusammenhänge ist ein Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft.
Veröffentlicht im AIZ-Immobilienmagazin, AIZ 3/2025
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Der Beitrag „Deutschland braucht jetzt die Wirtschaftswende“ erschien zuerst auf IVD.